So that I might see the man in white

Wie ja schon oft angeklungen ist, denke ich, daß es innerhalb des Abenteuerrollenspiels recht viele Entwicklungslinien gibt. Diese Entwicklungslinien beginnen nahzu alle bei D&D, bzw. in einer Unzufriedenheit mit D&D. Unzufrieden waren einige mit D&D, weil das Spiel von Anfang an nicht nur von seiner eigentlichen Zielgruppe, sondern auch von anders Sozialisierten rezipiert wurde. Ebenso haben von den ersten Tagen an Mißverständnisse über den Simulationsgrad von D&D geherrscht.
Gary Gygax und TSR haben dem nicht ausreichend entgegengewirkt, zum Teil aus Unachtsamkeit und auch Unprofessionalität diese Mißverständnisse noch befördert. Diese Mißverständnisse, vor allem unausgesprochenen Grundannahmen sind dann im angelsächsichen Diskurs beständig aktuell gewesen. Wie jede Diskussion, so wird diese erschwert durch nachwachsende, die eben erst „auf Stand“ gebracht werden müßten, bei der derzeitigen Differenzierung der Systeme manchmal aber durchs Raster fallen.

Was sind diese unausgesprochenen Grundannahmen und Mißverständnisse?

z.B.:
– D&D/Rollenspiel sei zur Erzeugung von Story gedacht
– D&D/Rollenspiel soll mittelalterlich/realistisch sein
– D&D/Rollenspiel soll heroisch sein

Aus diesen entstanden in der Reaktion, da ja D&D „falsch“ war viele Eigenbauten. Runequest z.B. ist der Pate all jener Systeme, die Realismus befördern wollten. Durchaus erfolgreich, eröffnete RQ (zusammen mit Traveller u.a.) so eine ganze Tradition von Spielen, bei denen man eine Personnage spielte, die sich nicht erheblich vom normalen Bewohner der Spielwelt unterschied. Ebenso setzten beide Systeme neue Maßstäbe in der Ausgestaltung der Welt.

Story hingegen bleibt ein verkorkster Wunsch, oft versucht, fast nie in erquickender oder moralisch haltbarer Weise erreicht. Einige Thematische Spiele versuchen da ihr Glück, und brechen mit fast allen D&D-Traditionen: Zu recht, denn für Story-machen, war D&D nie gebaut worden. Die Spielereignisse konnte man zwar nachträglich erzählen, ein Abenteuer war entstanden, aber keines mit Dramaturgie. Und „Story Now!“, nein das ist erst 2000 mit Hogshead’s Narrative Cagematch möglich geworden.

Hier sei besonders auf die deutsche Fehlentwicklung hingewiesen, oft genug aufgezeigt habe ich sie ja. DSA hat sich ja sozusagen fast alle Mißverständnisse unreflektiert zu eigen gemacht, und damit versucht sein eigenes verkorkstes Süppchen zu brodeln, mit sichtbaren Ergebnissen. Nun haben sich aber einige, wie ThiefofSouls mit diesem Geschmäckchen arrangiert, und ihr eigenes soziales Ereignis daraus gebastelt. Lange habe ich über eine mögliche Antwort auf seine letzten Beiträge gegrübelt. Ich denke, Frank Verminaard hat deren modus operandi ganz gut hier getroffen. Wobei ich bei der tatsächlichen Runde den sozialen Aspekt als alles überragend ansehe: Die gemeinsame Rezeption der einschlägigen Identifikations- und Eskapismustexte dient vor allem der Bestärkung und Legitimation des Verlangens danach. Und im „Plädoyer“, bzw. der Einleitung wird nicht von tatsächlichen Bedürfnissen, sondern von Anpassung an die Zieltexte ausgegangen.
Die moralische Dimension muß betrachtet werden, und genau um diese Bewertung habe ich mich etwas gedrückt. Ebenso muß betrachtet werden, daß gerade im Falle von DSA Runden eben fast immer Hilfskonstrukte errichtet werden müssen, um die vermurksten Primärquellen irgendwie in Spaß umzumünzen. Daß gerade dabei die Kämpfe, die ja besonders irrelevant sind , nicht irrelevant empfunden werden, liegt an der mangelnden Konsequenz des Denkens (beim Spielen) der Spieler. Um mich wieder etwas von der persönlichen Bewertung zu entfernen, seien die Folgen der Prävalenz von solcherlei Produkten in Erinnerung gerufen.

Eine weitere Traditionslinie speist sich aus dem Superheldengenre, mit seinen Punktekaufsystemen. Hier steht der ausgefeilte und voll vom Spieler gestaltete Charakter im Vordergrund, vor allem seine Eigenheiten, Beziehungen und Konflikte sollen Sujet sein. Interessanter Zwitter ist GURPS, in den USA a recht beliebt als „gritty“ System, durch das kritische Fernglas betrachtet ist das dann aber oft (Super)heldenrollenspiel für Waffensammler, ein Blick ins SJGames Forum offenbart diesen Teil der Kundschaft. Insgesamt ist GURPS dennoch interessant als eine der Konfliktlinien der Spielparadigmen „Realismus“ und „Charakterzentriert“ (daß in seiner Extremform eben Superhelden-Seifenoper ist, Vampire hat da lediglich eine neue ästhetische, aber keine konzeptionelle Innovation gebracht). Superhelden wandeln dennoch scharf auf dem schmalen Grat, der auf dem das ARS umgebenden Gebirge sich befindet; schnell ist man abgerutscht und landet im Story-Tal. Tatsächlich ist die Forge ja aus der Rezeption von Superheldenrollenspielen und dem Vampire-Desaster entstanden. Dennoch erfreuen sich Superhelden als valides, herausforderungsbezogenes ARS in den USA konstanter Beliebtheit.

Es ist insgesamt festzuhalten, daß eine eingehende Betrachtung der Rezeptionsparadigmen der jeweiligen Akteure überaus interessant, Spielstildebatten und -beschreibungen aber letzlich nicht zielführend sind, da ja eben gerade in Deutschland in keinster Weise Wahlfreiheit bezüglich der Lerntexte herrscht.

Ich bin ziemlich mißtrauisch, daß ich meine genau drei Hauptlinien/Paradigmen im Abenteuerrollenspiel gefunden zu meinen habe (D&D, RQ, Champions/ D&D, Realismus, Charakterzentriert), über Anregungen für übersehene Hauptlinien freute ich mich. Rezeptionsparadigmen gibt es ja zuhauf, dieses Wespennest gehen wir ein andermal an.