Ogilvie & Gygax sind los!

Diese Woche habe ich für Euch eine steile These und Gleichnis rund um Baseball zu bieten. Die steile, aber sehr plausible, These zuerst.

Ich hatte mit dem guten alten Kirilow seinerzeit große Diskussion darüber, woher denn überhaupt diese wahnwitzige Idee kam, Dinge für Spiele numerisch zu modellieren, was ja letzlich jedes Rollenspiel und Wargame macht. Vor allem eben aber D&D und seit D&D sind wir bei Charakterwerten. Die mehr oder weniger langweilige Antwort war, daß das alles mit Rechenmaschinen, Statistik und Computern zu tun hat. Und damit im Endeffekt ein Kind des Zweiten Weltkriegs mit seinen Torpedocomputern und Bletchley Park und Hollerithgeschichten ist, IBM Vorlauf inklusive. Mich hat das nie ganz befriedigt; inklusive Seitentheorien, wie daß Gygax ja ein Versicherungsmensch gewesen sei und deswegen Formulare kannte und also Charakterblätter quasi Versicherungsformularen entsprungen seien. Neben der unwiderstreitbaren Tatsache, daß sich das für mich falsch angefühlt hat, steht ja auch, daß es am Anfang gar keine Charakterblätter gab. Wohl aber so einzeilige Wertereihen um Monster und Charaktere zu beschreiben.

Es ist immer wieder zu beobachten, daß dem Außenstehenden diejenigen Dinge auffallen, die dem Insider als so selbstverständlich erscheinen, daß er sie nicht mehr als Besonderheit bemerkt. So ging es mir mit Baseball, welches schon immer mein Interesse weckte, ich komme nun aber mal dazu die Querverbindung herzustellen. Daß Baseball grundsätzlich eine gigantische Wirkung auf die Populärkultur und Sozialisation derjenigen Bevölkerungsschichten hat und hatte, die auch alle komplizierteren Spielearten spielen, dürfte offenkundig zumindest aber mal hier vorrausgesetzt werden. Bekanntestes Beispiel sei hier Curt Shilling.

Wichtiger aber scheint mir, eben weil es die Amerikaner selber gar nicht mehr bemerken, die Kulturtechnik der box scores. Mit ein bißchen Übung kann man große Teile des Spielverlaufs daraus entnehmen. Weit mehr als im deutschen Sportjournalismus auch nur denkbar ist. Die box scores gibt es auch bedeutend länger, als daß größerer Teile einer Bevölkerung von automatischer Datenverarbeitung oder numerischer Modellierung auch nur eine Vorstellung hätten.

clemente_boxscore

Das Wichtige sei eben hierbei, daß es für jeden Baseballfan seit über hundert Jahren üblich war, die box scores intensiv zu studieren.

The box score is the catechism of baseball, ready to surrender its truth to the knowing eye.“ – Author Stanley Cohen in The Man in the Crowd (1981)

Und wer genau hinguckt, der Erkennt: D&D Charaktere sind Pitcher! Zumindest in ihrer Modellierung. Buchstabenabkürzung in bestimmter Reihenfolge, 6 war lange Zeit Standard, vor allem zu Gygax‘ Zeiten. Daß die Batter meist nur 4 „Attribute“ haben sehen wir ja in den früheren D&D Editionen auch immer wieder, Monster in verkürzter Schreibweise ohne eigene Attribute, wohl aber mit HD Infos usw.

Gygax was fascinated by the way the rolling of dice affected „” and enlivened „” the game experience. „Random chance plays a huge part in everybody’s life,“ he says. He learned this first hand in his job as an insurance underwriter, which was a game in itself. His work involved evaluating policies and calculating how much to charge in premiums based on salary, age, medical reports, and the potential for long-term disabilities. He did special risk underwriting as well, such as evaluating the payout for a Major League Baseball team that wanted to take out a policy on one of its players. „I wasn’t popular in the home office because I wasn’t chicken,“ he says. „I’m just a risk taker. I have gut instincts.“
from: http://archive.wired.com/gaming/virtualworlds/news/2008/03/ff_gygax?currentPage=all#

Obiges Zitat zeigt auch nochmal, daß Gygax nicht Versicherugnsvertreter mit Formularen und so war, sondern tatsächlich Underwriter. Zudem kann man auch belegen, daß er Baseballfan war und ganz offenkundig auch Mannschaften bewertet hat. Gleizeitig erklärt es, wie diese eigentlich ja erstmal befremdliche Art der Numerifizierung von Spielfiguren eben für das Publikum überhaupt nicht befremdlich war.

So wie auch die Trading Card-Idee nur aus Amerika kommen konnte, vorbereitet durch Baseball-Trading Cards, so ist der statblock eine einfache Anwendung der amerikanischsten aller Tabellen: der Basbeall box score. Wenn wir also schauen wollen, was tatsächlich an durchdringenden Kulturtechniken vorhanden ist, welche als Transmissionriemen für Einstellungen dienen die die die gigantischen Unterschiede in den Spielweisen von Amerika und Deutschland zeitigen, dann lohnt es sich immer wieder an Baseball zu denken. Daß Charaktere in diesem Sinne Pitcher sind, wird klar, wenn man die popularmythologische Bedeutung des Pitchers betrachtet. Der Pitcher ist in dem Spannungsfeld aus Individualleistung und Mannschaftssport, die Baseball ausmacht oftmals in der vereinzelsten Lage. Buchstäblich durch den Werferhügel herausgehoben aber eben auch mit den Erwartungen der gesamten Mannschaft belastet. Und immer einen „ball“ von der Auswechslung entfernt. Zuweit trägt die Allegorie nicht, wie wir in Folge 2 sehen werden.

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