Der Kontext:
Ulisses Spiele hat nun das erste Abenteuer von Goodman Games übersetzt, und diesem, eurem Leuchtturm des guten Geschmacks zur Bewertung zugesandt. Was sind Dungeon Crawl Classics? Kurz gesagt sind es Rollenspielabenteuer für D&D 3.5, welche nach den äußeren und inneren Vorbildern aus der Zeit der ersten AD&D Edition verfertigt wurden. Nicht jeder kennt sich mit AD&D1 aus, so seien also ein paar Erläuterungen eingeschoben. Was zeichnete die alten Abenteuer aus? Zunächst die physische Darreichungsform, meist 32 Seiten mit Kartonumschlag, welcher als Spielleiterschirm fungierte. Dazu war das Heftchen mit dem Abenteuer nur in den Kartonumschlag eingelegt und nicht fest verbunden, meist gab es drei Kartonseiten, so daß tatsächlich ein brauchbarer DM-Schirm entstand. Auf der Innenseite waren dann praktischerweise die Karten für das Abenteuer aufgedruckt, in blauer Farbe. Die Umschlaggestaltung war relativ streng geregelt, vorne und hinten waren die einzigen Farbbilder zu sehen. Die meisten der alten Umschlagillustrationen sind von Künstlern angefertigt worden, die in der zweiten Edition nicht mehr auftauchten. Anders als das naiv-photorealistische Paradigma der Easly-Elmore-Parkinson Ära, zeichneten sich die alten Bilder durch bis ins surrealistische gehende Stilelemente aus. Einige der Künstler waren wirkliche Koryphäen, allen voran Erol Otus, von dem ihr hier mehr lesen bzw. anschauen könnt. Wichtig ist für das Verständnis ist es, sich ein wenig auf diesen Stil der Siebzigerjahre einzulassen, ein passender Vergleich wäre zum Beispiel Monty Python. Die animierten Zwischensequenzen sind eben im Flying Circus absichtlich so wie sie sind, und absichtlich nicht photorealistisch. Übertreibung, Betonung und Horizonterweiterung sind wichtiger als Unterordnung. Die alten Zeichnungen zeigten eine dunkle Welt, deren Gesetze wild und hart waren, und deren Realitätsgefüge nicht fest und beständig war. Ein Dungeon war erstmal ein Ort der widernatürlichen Abgründe und außerweltlich-chaotischen Scheusale, kein wohlgeordnetes Ork-Wohnheim.
Die Abenteuer bzw. Dungeons selber waren von meist hoher Qualität, d.h. sie stellten mehrfach-vielfältige Anforderung an die Spieler, meist waren sie auch relativ schwierig zu Überleben, je nach Autor. Viele Dungeons enthielten Weltbeschreibungselemente, führten neue Fraktionen ein, aber jedes Stand alleine und für sich da, konnte überall hin transponiert werden. Eine sehr hohe Text und Materialdichte machte diese schmalen Hefte zu Begleitern für mehrere Zehner Stunden, und wer ein solches überlebt hatte, konnte mit Fug und Recht stolz sein. Kriegsgeschichten über besonders knackige Klassiker werden auch heute noch erzählt. Die hohe Informationsdichte wurde durch die damals sehr schmalen Statblocks, aber vor allem durch die auf das Essentielle beschränkten Texte erreicht. Mit wenigen Sätzen wurden Situationen und Konflikte geschaffen, die zusammen mit der Karte (auf der der Raum ja schon beschrieben war) und Hinweisen zu weiteren Entwicklungen für viel Durchzuspielendes sorgten. Häufig gab es mehrere Fraktionen, mehrere Wege, und miteinander korrespondierende, bzw. in Verbindung stehende Räume, derer es auch bedeutend mehr gab, als das zum Beispiel in den aktuellen Adventure Paths der Fall ist.
Das Produkt:
„Idyllen des Rattenkönigs“ heißt der erste deutsche Band der Reihe, zum Preis von €9,99 erhält man ein Abenteuer auf 32 gehefteten Schwarz/Weißseiten mit robustem, beschichtetem Kartoneinband und den Dungeonkarten auf der Innenseite. Die OGL-Hinweise sind verkleinert auf der letzten halben Seite untergebracht, so bleibt mehr Platz für ein paar Handouts und eine Karte des Dorfes über dem Dungeon. Das Coverbild is unspektakulär, aber hinreichend düster und bar jedes Dungeonpunk, das Rückseitenbild hingegn ein phantastischer Beitrag im alten Stile.
Der Inhalt:
IdR ist ein Abenteuer für frische D&D 3.5 Personnagen, die währenddessen mindestens eine Stufe aufsteigen dürften, je nach Teilnehmeranzahl auch mehr. Es gibt eine nette Hintergrundgeschichte um eine jetzt besetzte Mine, einen Fluch, eine mysteriöse Dritte Partei. Kurzum, die Mine muß befriedet werden, und da stehen schon die Abenteurer und nehmen sich des Problems an.
Geboten wird dann auf 4 Etagen und 42 Begegnungen Dungeonkost. Die Räume sind nicht fortlaufend, sondern zweigliedrig numeriert, was beim Vergleich mit den Karten bedacht werden muß, die Karten sind nämlich kontraintuitiv angeordnet auf die Umschlagsinnenseite gedruckt worden. Jeder Raum hat einen kleinen Vorlesetext, der den Spielleiterlesefluß sehr bremst, und zudem unsäglichen Blödsinn enthält: Meterangaben und Himmelsrichtungen. Tödlich. Sowas muß man auf jeden Fall paraphrasieren, allein um schon „links“ und „rechts“ anstatt „an der Nordwand“ sagen zu können. Daß Raummaße nicht wiederholt weren müssen, ist auch klar. Die wichtigen Informationen befinden sich aber in schnell konsumierbarer Form im Fließtext, ebenso wunderbar brauchbare Statblocks und Taktikhinweise. Manche der Taktikhinweise sind aber etws hanebüchen, so soll eine Gruppe Goblins „sofort einen Sturmangriff machen, und dabei ihre Dolche werfen“. Ich würde das als DM so leiten, daß die Goblins das dann jetzt hier gerade alles gleichzeitig können, aber regelkonform wäre das nicht. Ebenso sind viele Sachen nur von Profis voll zu verstehen: Wenn Fernkämpfer oder Peitschennutzer Magienutzer unterbrechen sollen, dann müssen sie ihre Aktion zurückstellen, das steht so deutlich aber nicht im Modul. Nur daß die angegriffen werden, um sie am Zaubern zu hindern. Also suboptimal für Anfänger-DMs. Für Anfänger-Spieler ist es aber super, denn z.B. der Folterpeitschenschwinger macht kaum Schaden, führt aber in die Problematik Aktion zurückstellen-zaubern-Konzentration-Defensiv-zaubern-Gegner mit Reichweite ein. Ähnlich sanft (Peitsche 1w2 Schaden, nichttödl.) werden auch andere Spielelemente eingeführt, der DM muß dies aber erstmal erkennen.Die Verliesebenen sind allesamt Graphen hoher Konnenktivität, will heißen es gibt pro Raum eine recht hohe Zahl an verbindenden Gängen. Daraus folgt, daß es ausreichend Entscheidungs- Umgehungs und Überraschungsmöglichkeiten gibt. Leider greifen diese erst wirklich nach den ersten paar Begegnungen, da man nahezu geskriptet im ersten Raume Alarm auslöst, und dann erstmal in einem sich ausweitenden Strauß mit mehreren Goblingruppen auszufechten hat. Danach können aber alle Möglichkeiten genutzt werden, besonders ertragreich sind die verborgenen Räume, hier können Feinde umgangen, überrascht, vor allem aber Handouts freigespielt werden, die einem mehr und mehr über die mysteriöse dritte Partei und die geschichte des Mine verraten. Wer dies alles tut, und die richtigen Schlüsse zieht, der kann das Dungeon auf andere Weise lösen, als erstmal offensichtlich scheint. Sehr übel aufgestoßen ist mir hingegen die Art und Weise in der Geheimtüren gehandhabt werden: Keine Beschreibung, sondern nur der reine SG wird geliefert. Das nimmt der Sache vollkommen die Ebene der Spielerleistung, und läßt es zu einer Würfelübung degenerieren, Schade, da waren die alten Module schon weiter! Ebenso traurig ist die Tatsache, daß auch hier „žSuchen“ und „žEntdecken“ nicht geschieden werden, so daß ich nach drei Jahren wöchentlichem 3.5 Spiel immer noch nicht sicher bin, wie und wann welche der Fertigkeiten einzusetzen ist, bei Goodman Games wohl ebensowenig
Die Übersetzung:
Grundsätzlich ist die Übersetzung ohne größere Unfälle gelungen. Der Text ist lesbar und kaum stößt einem etwas als holprig auf. Es gibt aber Dinge, die ungemein stören.
Fangen wir beim Titel an: „žIdyllen des Rattenkönigs“ ist eine direkt Übersetzung von „žIdylls of the Rat-King“, was eine Anspielung auf den Artusgedichtszyklus von Lord Tennyson ist. Obwohl auch im deutschen Idyllen als romantische Gedichte bzw. Impressionen verstanden werden können ist dies hochgradig unüblich. Im Englischen eigentlich auch, wäre da nicht der allseits bekannte Tennyson-Titel „žIdylls of the King„. Ein guter Überträger hätte eben übertragen und nicht nur übersetzt, und einen Titel nahe einem deutschen Titel der Romantik gewählt. So etwas wie „žDes Rattenkönigs Wunderhorn“, was sehr gut passen täte, da auch im Modul keine Gedichte/Idyllen auftauchen, so brauchte auch das Fehlen eines Wunderhorns nicht stören, ja vielmehr lockte solch ein Titel den schatzlüsternden Abenteurer. So bleibt ein gestelzter deutscher Titel an der Grenze der Peinlichkeit und bar der literarischen Anspielung des Originals. Schlimmer wiegt jedoch ein Kapitalverbrechen des Fantasyrollenspiels. Nochmal, ohne jede Geduld: DER Schild. Punkt. Setzen Sechs, was auch für die Lektoren gilt. Auf Seite sieben respektive 11 kann man deren Versagen bestaunen. Ebenso unangenehm ist eine etwas merkwürdige Begebenheit: Der Kartenmaßstab wird mit „žEin Kästchen = Fünf Fuß“ angegeben. Erstens rechnet D&D in Deutsch mit Metern, wie es auch der deutsche Modultext tut, zweitens belegt der Modultext auch überdeutlich, daß ein Kästchen drei Metern entsprechen muß, und drittens sind alle alten Module auf der Basis „žKästchen entspricht zehn Fuß“ erstellt worden. Ich kann mir das nur so erklären, daß jemand anderes als der Übersetzer die Karten übertragen hat. Nun, das viel mir nach vier Sekunden auf, hier schlampte also die Ulisses-Fehlerkontrolle. Schade ist auch, daß das Retro-Blau nicht für die Karten verwendet wurde, dürfte aber aus Kostengründen geschehen sein, und tut dem Modul letzlich keinen großen Schaden an. Unschöner ist hingegen die fitzelige Signatur für Geheimtüren, die kaum von normalen Türen zu unterscheiden ist. Ein einfaches, klassisches kapitales „žS“ stünde dieser Kartenart bedeutend besser zu Gesicht. Im eifer des Gefechts die Geheimtür preiszugeben bleibt somit beständige Gefahr für den DM.
Schade ist auch, daß Eigennamen nicht eingedeutscht wurden, Silverton meinetwegen zu Silberbing oder ähnlichem und Lawrence stupide zu Laurenz hätte da schon gereicht, dies hätte die Transponierbarkeit und Ästhetik weiter erhöht. Die deutsche Version besticht durch eine famose Beschichtung des Kartonumschlags, die kaffefleckenabweisend und somit unglaublich wiederstandsfähig und nützlich ist. Insgesamt ist Haptik und Optik die eines robusten, leicht handhabbaren Werkzeugs, geballtes Abenteuer ohne Firlefanz, ohne aber auf etwas zu verzichten, es macht Spaß daß Modul umherzutragen oder es ruhigen Gewissens lässig in die Ecke zu feuern. Nichts für Buchrückennazis, nur für echte DM.
Fazit:
Ein gelungener, flinker Einstand, der Lust auf mehr macht. Eine kleine stufenübergreifende Bibliothek dieser handfesten Nützlichkeitsbündel hätte ich gerne im Schrank. Das Modul selbst ist solide aber ein wenig unspektakulär, doch viel Mühe wird einem abgenommen und schnell kann ein über Abende gehendes Abenteuer vorbereitet werden, es liest sich trotz Vorleseblock sehr fix. Einzig die äußerst lahme Darstellung von Geheimtüren in Wort und Bild trüben das Crawlerlebnis. Ansonsten gibt es viel zu erschlagen, viel zu verhandeln, viel zu Rätseln, einiges zu Rollenspielen und so manches zu erbeuten. Für den Dungeonunkundigen sei nochmal hervorgehoben, daß Dungeonmodule nicht spaßig zu lesen sind, denn es wird in knappster Form eine Situation beschrieben, die aber hoffentlich viel Spaß macht. Und genau das liefert „žIdyllen des Rattenkönigs“ mit den genannten Abstrichen zu einem sehr guten Preis-Leistungsverhältnis. Besonders spannend finde ich die Benutzung der deutschen D&D-Begriffe, ohne besondere Erlaubnis von F&S. Dies heißt also, wir dürfen (und durften) das alle auch, denn es wird allein mit der OGL abgedeckt. Nach all den Jahren Lügen und Drohungen von F&S eine Befreiung. Spät, aber immerhin vielleicht nützlich, wenn F&S nicht in der Lage ist die 4e (wie Italien und Israel es schaffen) zeitgleich mit der US-Version, und unter 1:1 Umsetzung der DDI Materialien auf den Markt zu bringen.
Zum O.R.K.