Lost Smackdowns Vol. 1
Immer wieder wird es besprochen, immer wieder treten Probleme auf, immer wieder werden neue Spielesäue durchs Dorf getrieben, die eines zum Ziel haben: Mehr kewle Aktionen, eine sog. bessere Story zu erzeugen. Mit gleichbleibendem, zweifelhaftem Erfolg.
Meine Meinung dazu kann man nachlesen, aber ich möchte hier mal ein paar objektive Probleme anmerken, die mir immer klar waren, aber vlt. so noch nicht ausformuliert wurden. Und wir wollen hier ganz ausdrücklich jede Rollenspieltheorie verlassen und ignorieren.
Dieses Problem ist eben nicht theoretisch, so haben zum Beispiel die spielerischen Wege des Blechpiraten und meiner Person sich schon lange getrennt, in aller Freundschaft, da ihm kewle Aktionen und cinematische Dinge eben sehr wichtig sind. Und er ist ja beileibe nicht der einzige, eine ganze Bandbreite an Angeboten und Schulen existiert.
Aber warum sind die alle zum Scheitern verurteilt? Nicht, weil nur D&D-ler, Wargamer und GDW-Fans richtig spielen können. Nein, sondern weil die Forderung, die Vorstellung, das Verlangen an sich, innerhalb einer Rollenspielsituation „Story“ zu erzeugen eine volkommene Überforderung der Erzeugungssituation ist. Hier mal ganz einfach gesagt:
Annahme: Viele Leute meinen, wenn sie von „rule of cool“ und „Story“ sprechen Dinge aus Film + Fernsehen.
Was meinen sie genau? Nun, jeder ein bißchen was anderes, aber sie genießen eben bestimmte Elemente in (Genre-)medien, und wollen dieses Gefühl, diesen Rezeptionsmoment auch im Rollenspiel haben. Und diesen Erstgenuß, den kann ja jeder einigermaßen nachvollziehen. Nun müssen wir aber genau schauen, wie kommt denn diese Gefühlsregung zustande?
Bei „fiction“ ja, indem ein Drehbuch geschrieben wird, eine Filmmusik geschrieben wird, professionelle Darsteller das ganze interpretieren. So weit, so gut. Aber. Das klappt nie beim ersten mal.
Nochmal:
Das klappt nie so beim ersten mal, daß es beim Zuschauer die gewünschte Emotion auslöst!
Natürlich gibt es Theater. Aber die Rezeptionserlebnisse im Theater sind strukturell eben anders als diejenigen von durchchoreographierten Genremedien! Das gilt ja doppelt und dreifach für all die Sopranoklonserien, die mitlerweile auch in Deutschland angekommen sind! Wer meint, er könne seine Kampagne wie eine beliebte Fernsehserie gestalten, um diese tiefen emotionalen Regungen bei allen Beteiligten auszulösen, der sei mit aller Vehemenz daran erinnert, wie viel Arbeit es ist, damit Timing, Ton, Schnitt, Intonation, Beleuchtung usw. alles genau stimmen. Wenn irgendwas davon nicht hinhaut, muß es wiederholt werden, oder bleibt scheiße und damit ohne die erwünschte Wucht. Schlimmer noch, gerade im Bereich der spielleitungsnah ist, also dem Plot und den Dialogen, dem Weltenbau: Bis der ordentlich gemacht ist, für so ein Genremedium haben viele, viele Leute daran gearbeitet und stundenlange Konferenzen abgehalten um kleinste Details miteinander so abzustimmen, daß es paßt, daß es genau richtig rüberkommt. Kein Drehbuch, kein Roman wird genaus so beim Kunden ankommen, wie es beim ersten Aufschreiben aussah. Wie man diese Effekte innerhalb von Sekunden mit der erstbesten improvisierten Idee erzeugen will, das muß mir mal einer erklären.
Und in meiner Rollohistorie habe ich schon viele, viele sog. storyorientierte Runden und vor allem Versuche des „cinematischen“ Rollenspiels gesehen und erlebt. Und immer, ohne Ausnahme wird da, ganz so wie auch bei professionellen Darstellern, beim Improvisieren, Klischee an Klischee aneinandergereit.
Aus dem Versuch, eine bestimmte Stimmung oder Emotion auszulösen durch die Mittel der Kunst, wird dann die Referenz auf ein Klischee, welches man mit der gewünschten Emotion in Verbindung bringt. Was dann abläuft, wenn so eine Rollogruppe in einen Flow, einen Spielfluß gerät habe ich so erlebt: Man spielt sich improvisierte Bälle zu, die aus Versatzstücken von Genremedienanalyse und Genremedienerfahrungen besteht. Der Spaß und die Aufregung die dabei kurzzeitig den Raum erfüllt, beruht darauf, sich gegenseitig mitzuteilen, daß man die gleichen Sachen kennt und die jeweiligen Anspielungen versteht. Dies ist eine Mischung aus einem sozialen Sicherheitsgefühl und einer erregten Unsicherheit, weil man nicht weiß, wie das enden soll. Denn enden muß es, so kann es ja nicht ewig weitergehen, alleine weil irgendwann der gemeinsame Anspielungsraum erschöpft ist.
Nach dem Flowerlebnis kommt dann ein wenig Katerstimmung auf und man rätselt und sucht wieder in Foren und Rezensionen nach dem „Spielsystem“ welches vlt. doch irgendwie aus diesem kurzen Flowerlebnis eine ganz runde Sache machen kann. Oder orakelt an Details der Handlung rum, wie es vlt. noch anders hätte gehen können oder sollen.
Vielleicht gibt es dieses System. Aber, und das ist der wichtige Punkt, dieses System wird dann nicht mehr tun, was eigentlich der ursprüngliche Punkt war: ein Erstrezeptionserlebnis herzustellen.
Um den Widerspruch nochmal deutlich zu machen:
- Erstrezeptionserlebnisse sind starke emotionale Regungen, die beim ersten (Genre-)medienkonsum auftreten.
- Dieses Erleben wurde i.d.R gezielt ermöglicht durch die Arbeit vieler professionell arbeitender Handwerker und Künstler und fand arbeitsteilig und schrittweise/iterativ statt
- In einer Rollenspiellrunde können Spielerbeiträge und Spielleitersetzungen fast nur spontan stattfinden. Auf jeden Fall aber nie arbeitsteilig oder schrittweise/iterativ.
- Fast alle sog. cinematischen Storyspiele sind tatsächlich Anspielungsspiele.
- Anspielungsspiele können qua definitionem niemanden mit einem Neuen Gefühl-Ereigniskomplex überraschen! Um überhaupt zu funktionieren, muß auf den (bei allen bereits vorhandenen) Fundus von rezipierten, professionell erdachten Rezeptionsmomenten Bezug genommen werden.
„Schlechte“ Filme sind übrigens auch in dieser Kategorie. Weil sie sich keine eigene Genrekunst leisten können oder wollen, bauen sie ihr Konstrukt aus dem Steinbruch der allgemein bekannten Genrekonventionen auf. Es sind dann Anspielungsfilme, ein müdes Lächeln oder Methadon im Vergleich zum Wahren und Schönen.
Jedwede rule of cool ist deswegen auch objektiv gesehen eine Sackgasse im Hobbyrollenspiel.
Wie man im Abenteuerrollenspiel Überraschung und damit originäre, kraftvolle und z. T. aufwühlende Erstrezeptionserlebnisse erzeugt, das haben wir ja schon jahrelang besprochen. Wichtig hier ist darauf hinzuweisen, daß man beim ARS ja innerhalb des eigenen Mediums bleibt, echtes Spiel anstatt Anspielungsspiel kann also ohne Verweise nach draußen stattfinden.
Ja, nochmal schön erklärt, warum sowas schwierig ist. In der Tat empfinde ich es auch als höchstspannend die Würfel sprechen zu lassen, gerade wenn sie untypische Ergebnisse produzieren, da es a) spannend und unterhaltsam ist, diese einzubauen und b) genau die hier {vom Originaloriginalposter, Du hast ja auch einen Blogbeitrag verlinkt, der eine Antwort ist} geforderte Überraschung bietet.
Insofern können Storyspiele vieles, aber nur selten herausfordernd sein.